Virtuelles Coaching

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Virtuelles Coaching – ein Erfahrungsbericht

Im Rahmen der Recherchen für mein Buch „Online-Coaching“ bin ich auf das Coaching-Konzept „Virtuelles Coaching“ von Prof. Dr. Harald Geißler gestoßen. Damals habe ich nur darüber gelesen. Jetzt durfte ich einen praktischen Einblick erhalten. Und tatsächlich hat sich mein Blick darauf über mein eigenes Erleben als Testklientin verändert.

Wie funktioniert`s?

Auf der Plattform www.virtuelles-coaching.com hat man die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Coaching-Bedarfen auszuwählen. Coaching von der Stange denken Sie? Erst einmal sieht das so aus. Unter der Haube der Plattform findet sich dann jeweils ein Fragenset, das auf den jeweiligen Coachingbedarf zugeschnitten ist.

Coachingbedarfe sind beispielsweise:

  • Virtuelles Transfercoaching , mit dem die Nachhaltigkeit von Trainingsmaßnahmen erhöht wird.
  • Virtuelles Führungscoaching, mit dem Führungskräfte ihre Führungsqualitäten entwickeln können.
  • Virtuelles Problemlösungscoaching, in dem Probleme lösungsorientiert bearbeitet werden.

Ich bin mit dem Fragenset „Virtuelles Selbstcoaching“ eingestiegen, hier geht es erst einmal um die Auftragsklärung. Nachdem ich mit individuellen Zugangsdaten das Modul betreten habe, bekomme ich eine Liste an Fragen, die mir in einer vorgegebenen Reihenfolge aufgezeigt werden und die ich schriftlich beantworte. Darunter gibt es viele Skalierungsfragen, wie hoch mein Leidensdruck ist, wie hoch ich meine Fähigkeiten im Hinblick auf die Fragestellung einschätze usw.

Zusätzlich zur Beantwortung kann ich pro Frage noch ein Bild auswählen. Das nehme ich bei manchen Fragen in Anspruch, die intuitive Komponente gefällt mir. Die Bildauswahl wirkt allerdings noch etwas provisorisch. Durch das Beantworten der Fragen entsteht bereits ein spürbarer Selbstcoaching-Effekt, das Thema formiert sich klarer. Nun kann ich anschließend ein Gespräch bei einem virtuellen Coach buchen. Ich darf mit dem Begründer der Plattform, Prof. Geißler, selbst sprechen. Meine Befürchtung war, dass der Fragenkatalog nun stur „abgearbeitet“ wird. Dafür bräuchte man m.E. keinen Coach, ein sensibler Gesprächspartner würde genügen.

Meine erste Coachingerfahrung

Meine Praxiserfahrung ist nun, dass die Antworten nur die Gesprächsbasis sind und mein Coach behutsam nachfragt, die Fragen zusammendenkt, Brüche in meinen Antworten aufspürt und verbalisiert und es zu einem „echten“ Coachinggespräch kommt. Genau, nun habe ich verstanden, dass auch am Backend der virtuellen Coachingplattform unbedingt ein professioneller und medienkompetenter Coach sitzen muss. Ich habe auch den Eindruck, dass das Gespräch auf einer anderen Ebene beginnt, da ich als Coachee ja „meinen Boden“ bereits gut vorbereitet habe. Die Kommunikation erfolgt über Telefon.

Herr Geißler erläutert, dass dadurch der Coach sehr dicht dran ist am Klienten. Denn wir zeigen viel von dem, wie es uns geht, über unsere Stimme und den sprachlichen Ausdruck. Dieser Kanal wird bewusst ins Coaching miteinbezogen.

Während des Telefoncoachings (ich lege den Hörer daneben und stelle auf Lautsprecher) kann ich nun neue Erkenntnisse und Ergebnisse aus dem Coachinggespräch in meine Antworten einpflegen und erhalte dadurch Schritt für Schritt ein schriftliches Protokoll meines Coachingfortschritts. Frühere Ergebnisse gehen nicht verloren, da der Eintrag mit Datum versehen wird.

Das besondere Konzept des virtuellen Coachings kombiniert so Vorteile des textbasierten Coachings mit dem Telefoncoaching. Der Lern- und Entwicklungsprozess wird dokumentiert. Vorhaben und Absprachen für erste Schritte gehen nicht verloren, alles kann im persönlichen Zugangsbereich der Plattform nachgelesen werden.

Da die Fragen so allgemein gehalten sind, werden für den Klienten Prozesse sichtbar, beispielsweise zur Problemlösung, Entscheidungs- oder Zielfindung, die – wenn sie erfolgreich waren – auch weiterhin zum Selbstcoaching eingesetzt werden können. So entwickeln sich bei den Coachees gleichsam im Nebeneffekt Kompetenzen, die sie in ihren Arbeits- oder Lebenskontext portieren können.

Für wen könnte diese Art von Coaching geeignet sein?

Ich gehe innerlich meine Klienten durch und frage mich, welche Eigenschaften ein Coachee mitbringen müsste, um auf der Plattform mit dieser Vorgehensweise glücklich zu werden. Es erscheint in mir das Bild eines Mannes, der sich nicht so gerne in ein Präsenzcoaching begeben würde, weil er das eher als Schwäche auslegt. Er ist ganz froh, sich erst einmal selbst mit den Fragen auseinanderzusetzen, um zu zeigen, dass er auch in Vorleistung tritt und bereits Antwortansätze mitbringt. Und er ist so selbstdiszipliniert und professionell aufgestellt, um proaktiv mit den erarbeiteten Ergebnissen in die Umsetzung zu gehen. Im Businesscoaching und in Organisationsentwicklungsprozessen angegliedert an Trainingsmaßnahmen kann ich mir den Einsatz des virtuellen Coachings demnach besonders gut vorstellen.

Mein Fazit als Klientin

Ich habe das Gefühl, durch die Vorgehensweise spiralförmig in einen Reflexionsprozess geführt zu werden, der durch den Coach vertieft wird und mich auch einige Zeit danach noch beschäftigt. Die Plattform mit den Fragen, die mir vorab einen Einblick in die Coachinginhalte ermöglichen, vermittelt tatsächlich ein Gefühl von Sicherheit. Die Optik ist allerdings eher nüchtern und sehr textlastig. Ich arbeite und reflektiere gerne mit und durch Texte, aber das muss man mögen.

Mein Fazit als Coach

Wenn ich mir vorstelle, als Coach im Rahmen der Plattform Klienten zu begleiten und als Ausgangspunkt mit den Fragen zu arbeiten, komme ich mir in meinem kreativen Repertoire als Coach erst einmal eingeschränkt vor. Allerdings überlege ich auch ein wenig selbstkritisch, dass es mich fokussieren würde, so zu arbeiten und frage mich, ob es meiner Arbeit nicht gelegentlich gut täte auf die praxisnahe Basisarbeit, die sprachlichen Verstehensprozesse, zurückgeführt zu werden. Sie sehen, ich bin noch unentschlossen. Ach ja, hier gibt es übrigens eine Weiterbildung für Coachs, um das „Virtuelle Coachen“ zu erlernen.

Die spezifische Zusammensetzung und der Prozessaufbau des „Virtuellen Coachings“ zeigt einmal mehr, dass Online-Coaching keine schnelle und „zweitbeste“ Lösung ist. Die bewusste Verlangsamung durch den textbasierten Coachinganteil führt zu nachhaltigen Ergebnissen, verlangt den Coachees aber auch einiges ab.

Martina Nohl